AUSSTELLUNG


Daniela Hoferer "meshes of time"
Nehmen wir an, es gibt sie nicht: Kulturkreise, Nationen, Ländergrenzen und streng voneinander getrennte Epochen. Es gäbe nicht dieses vertraute Terrain der ‚Stile‘, die in einem bestimmten Zeit- und Raumgefüge entstanden sind und jenes vertraute Gefühl hervorrufen, das klassifizierende Kategorisierungen oft in uns auszulösen vermögen. Nehmen wir an, dass jegliches menschliche Erzeugnis eingereiht ist in eine Reihe von grenzüberschreitenden Prozessen, die daran arbeiten oder arbeiteten, gewisse ‚Probleme‘ zu lösen. Ein jedes Ding, jede sichtbare materielle Existenz würde Zeugnis ablegen davon, dass es aufgereiht wäre in einer langen Erbkette von Objekten, die schon vor ihm gemacht wurden, es beeinflusst haben und schließlich selbst die ihm folgenden Objekte beeinflusst, in Form und Funktion und über Landes- und Kulturgrenzen hinweg. Gehen wir davon aus, dass der menschliche Geist im Zusammenschluss mit anderen Lösungen entwickelt, die angebunden sind an universelle Frage- und Problemstellungen, wie sie der Kunsthistoriker George Kubler in seinem Buch „Form der Zeit“ beschreibt.


Vor einem grünen Hintergrund versammeln sich die unterschiedlichsten Strohfiguren auf Daniela Hoferers gesticktem Bild „Inner Circle“: Eine behaarte Agnes entsteigt mit einer kreisrunden Strohmaske einem aufgeschnittenen Hammerhai. Ein mit Glocken behängter und völlig in Stroh gekleideter schwäbischer Pelzmärtle verlässt im Vordergrund den Bildraum. Vor und hinter dem Gesteinsbrocken stehen Festivalteilnehmer aus Burkina Faso neben einem schwäbisch-alemannischem Strohhansele, einem Narren, der fester Bestandteil eines jeden Fastnachtumzugs im Schwarzwald ist. Eine Person in einem Strohumhang streut Konfetti von einem Fels: Strohkostüme wurden früher im ländlichen Japan als praktischer Regenschutz getragen, heute noch immer im Kontext traditioneller Feste. Hier schließt sich der Kreis. Daniela Hoferer entdeckte bei einem großen, herbstlichen Festumzug in Kyoto Teilnehmer mit Strohkostümen, die sie an die Kostüme im Schwarzwald erinnerten. Sie begann nach weiteren zeremoniellen Kleidungs-stücken aus Stroh zu suchen, in der Ahnung, dass diese überall auf der Welt zu finden seien.
Auf das Material Stroh verweisen im Bild die zum Trocknen aufgestellten Haufen, wie man sie früher auf den Feldern vorfand. Es ist als billiges Restematerial beinahe überall frei verfügbar und wurde in vielen Kulturen nicht nur für den Alltag verwendet, sondern auch für rituelle Praktiken. Ähnlichkeiten brachten Daniela Hoferer auf eine Spur des Materials, die sich über die Welt hinweg verfolgen lässt. Es entsteht der Eindruck, dass die von der Künstlerin gefundenen Bildbeispiele Zeugnis davon sind, dass ähnliche Formen und gleiches Material für spezifische Riten in den unterschiedlichsten Kulturen ent-standen und sich eventuell auch in gegenseitiger Beeinflussung weiterentwickelten.


„Die Entwicklung hat sich vielfach verzweigt, hat häufig in Sackgassen geendet. […]; der Fluß der Dinge kam jedoch niemals zum Stillstand. Alles was heute hergestellt wird, ist entweder eine Replik oder eine Variante von etwas, das schon früher geschaffen worden ist. So geht es ohne Unterbrechung rückwärts bis zu den Anfängen menschlichen Lebens.“ [1]


Ebenso wie Daniela Hoferer kulturelle Zeichen unterschiedlicher Herkünfte nebeneinander stellt und miteinander in Beziehung setzt, so verwebt sie alltägliche Dinge mit Objekten der Hochkultur. In kreisenden Bewegungen werden die Dinge nicht als voneinander getrennt behandelt, sondern in ihren Beziehungen zueinander.
„Styx“ vereint architektonische Wahrzeichen wie die Wächter an einem Bahnhof in Helsinki, Elemente aus kunsthistorisch bedeutsamen Gemälden (die Flötistinnen aus dem Bild „The Vintage Festival“ von Lawrence Alma-Tadema (1871) aus dem kunsthistorischen Museum in Hamburg) und einfache Holzflechtarbeiten, die die Künstlerin im Wiener Weltmuseum entdeckte. Dass Kunst, Kunsthandwerk und Industrieprodukte nicht getrennt voneinander zu sehen sind, zeigt sich auch darin, wie sie Muster und Ornamente einsetzt. In „Beyond“ bilden sie den Beginn und den Abschluss des Bildes. So stickt sie am Anfang Muster, um dem Bild eine Struktur zu geben und am Ende, um Zusammenhänge zu schaffen. Die Muster haben ihre Ursprünge in japanischen Stoffmustern, orientalischen Ornamenten und europäischen Fischgrätmustern. Es ist ein vertikaler Kreislauf von oben und unten aber auch horizontal, auf einer Ebene, der in Daniela Hoferers Bildern zu erleben ist: Volkskunst, alltägliche Elemente, Hochkultur, Dekors unterschiedlicher kultureller Herkunft nehmen hier hierarchielos Bezug zueinander auf und werden kurzgeschlossen. Das Alltagsornament ist der Grund (in Form des Bildhintergrundes) auf dem alles Weitere aufbaut.
Kehren wir zu „Inner Circle“ zurück und widmen uns dem weiß gesticktem Raum im Hintergrund. In strenger Zentralperspektive ist hier ein Kirchenraum mit einer Tür im Hintergrund abgebildet. In der Renaissance wurde die Zentralperspektive in Europa (wieder)entdeckt und entwickelte sich schnell zur allumfassenden Grundlage der europäischen Kunst. So beeinflusste sie nachhaltig das Sehen und somit die Urteilsfindung von Menschen und ganzen Gesellschaften. Der Bildraum in „Inner Circle“ läuft jedoch nicht auf die hintere Tür des Kirchenraumes zu – ganz im Gegenteil öffnet und verflacht sich der hintere Raum hin zu all den sonderlichen Gestalten, die sich im Bildvordergrund tummeln. Im scheinbar weniger rationalen Raum können die Dinge wieder Beziehungen zueinander aufnehmen.


Es ist eine unbeweisbare These, dass diese wirklich in Zusammenhang stehen, doch es bleibt die Ahnung, dass es ein Netz-werk an Dingen gibt, das sich nicht durch strenge Kategorisierungen und Provenienzforschung belegen lässt.
Kubler versteht Dinge als menschliche Hervorbringungen, an denen sich technische, formale oder auch ästhetische Problemstellungen sowie der historische Verlauf der Zeit ablesen lassen. Über die Welt hinweg lassen sich so Übersetzungs- und Interpretationsprozesse anhand von Dingen ablesen.
Bereits 1962 konstatierte Kubler dies der damaligen Kunstgeschichte: „[Es] wurde die […] Möglichkeit, Kunst als ein System formaler Beziehungen zu definieren, vernachlässigt“. [2] Text: Su-Ran Sichling
erschienen zur Ausstellung "meshes of time", Galerie Ursula Walter,
7.9. - 5.10.2019, Dresden



[1] George Kubler: Form der Zeit, Frankfurt am Main, 1982
[2] ibid.

05.09. –13.10.2019 im GALERIE URSULA WALTER